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Dekarbonisierung
2023-05-15  |  Dr. Karsten Schmidt

Klimaneutrale Immobilien – Standardisierung ist der Schlüssel

Eine tragfähige Klimastrategie rund um die intelligente Planung notwendiger Modernisierungsmaßnahmen ist für Immobilienunternehmen essentiell. Sie kommen zunehmend unter Zugzwang, den Weg zur Dekarbonisierung einzuschlagen und dabei perspektivisch Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit zu verbinden. Dabei wird ein Faktor massiv unterschätzt, der diesen Prozess effizienter und wirtschaftlicher voranbringt: standardisierte Energiekonzepte.

Die Wohnimmobilien in Deutschland sind sich oft ähnlicher als wir denken. Ein Drittel des organisiert vermieteten Bestands stammt aus den 50er- und 60er-Jahren. Hinter dieser Ähnlichkeit der Gebäudetypen und der dahinterliegenden Technik verbirgt sich großes, unterschätztes Potenzial: Denn genau diese Kongruenz ermöglicht es, im Rahmen der Modernisierung von Immobilienportfolios standardisierte Konzepte über alle Gebäude eines Typs auszurollen. Das macht es unnötig, für jedes Objekt dedizierte Sanierungsmaßnahmen zu planen.

Der Schlüssel liegt in der Bildung homogener Immobiliencluster, für die ähnliche Modernisierungsansätze anwendbar sind, beispielsweise nach folgenden Kriterien:

  • der energetische Zustand des Gebäudes,
  • die Struktur der Heizwärmeversorgung (zentral / dezentral),
  • die Struktur der Trinkwasserversorgung (zentral / dezentral),
  • das Potenzial zur Nutzung alternativer Wärmequellen, beispielsweise Geothermie,
  • das Potenzial zur Nutzung von Photovoltaik zur Strom- und Wärmeversorgung im Rahmen der
    Sektorenkopplung oder
  • die wirtschaftliche und vertragliche Situation der Versorgung.

Klimaneutralität durch Standardisierung

Die Clusterung dient als Basis für den nächsten Schritt: die Potenzialanalyse. Hier entsteht das Konzept für eine optimale, sektorenübergreifende Modernisierung pro Referenzobjekt und der Übertragung aller Ergebnisse auf das gesamte Portfolio. Der nächste Schritt ist die zeitliche Priorisierung der Modernisierungsmaßnahmen unter Berücksichtigung aller relevanten Daten für Investitionen, Betriebskosten, Refinanzierung und CO₂-Minderung. (Was hinter einer intelligenten Klimastrategie steckt und wie sie aufgesetzt werden muss, habe ich in meinem letzten Artikel aufgezeigt.)

Gerade die erwähnte Extrapolation führt dabei zu massiven Synergien. So erstrecken sich am Ende die gesamten Investitionen auf wenige Standardkonzepte mit der größten Emissionseffizienz. Am Ende bedeutet dies weniger Aufwände und gleichzeitig eine höhere Geschwindigkeit bei der Umsetzung.

AMPEERS ENERGY hat in diesem Zusammenhang über 2500 Simulationen von Energiekonzepten durchgeführt und die Analyse einer dreistelligen Anzahl von Liegenschaften vorgenommen. Dabei zeigte sich, dass etwa ein Dutzend an Standardkonzepten existiert, mit denen ein Immobilienbestand modernisiert werden kann.

Ein Kundenbeispiel: Für ein mittelständisches Immobilienunternehmen haben wir zehn Zielkonzepte entwickelt. Die Konzepte haben unterschiedliche Schwerpunkte, beispielsweise steht einmal die Gebäudehülle oder ein anderes Mal die Art der Warmwasseraufbereitung im Fokus. Daraus ließ sich ableiten, dass es Immobilien im Portfolio gibt, bei denen lediglich der Wärmeerzeuger ausgetauscht werden muss, um schnell – und ohne aufwendige Gebäudehüllenmaßnahmen – eine Dekarbonisierung zu erreichen. Bei anderen wiederum müssen Unternehmen die Hülle in Angriff nehmen und können auch hier auf Standards setzen – sowohl für die Hülle als auch für die Wärmeinfrastruktur.

Dekarbonisierung kann durch neue Geschäftsmodelle refinanziert werden

Bei der näheren Analyse wurde deutlich, dass sich mit der Umsetzung von nur vier verschiedenen Konzepten mehr als 80 Prozent der Immobilien im Portfolio klimaneutral versorgen lassen. Auf zwei Konzepte ließen sich sogar 50 Prozent der gesamten Minderung verbuchen. Hier liegt ungenutztes Potenzial!

Im Zuge der Analyse zeigte sich zudem, dass die Effizienzklasse in der gesamtheitlichen (Wirtschaftlichkeits-)Betrachtung nur eine zweitrangige Bedeutung hat und keinen eindeutigen Hinweis auf das optimale Modernisierungskonzept liefert. Hier gilt: “Worst first” ist nicht immer das beste Vorgehen. Es gibt Gebäude in den Portfolios mit deutlich geringeren CO₂-Vermeidungskosten. Das hängt vom Status Quo des Gebäudes ab sowie vom passenden Modernisierungskonzept. Hier muss man genau hinschauen.

Durch intelligente Standardisierung können also signifikante Effizienzzuwächse erzielt werden. Damit lassen sich die Modernisierungen schneller und wirtschaftlicher voranbringen. Und konsequent zu Ende gedacht, führt die Sanierung des Gebäudebestandes zu CO₂-Einsparungen von bis zu 90 Prozent – und damit in Summe zu weniger CO₂-Kosten und einer Wertbeständigkeit der Immobilien.

Dabei gilt: Ja, die Dekarbonisierung kostet erst einmal Geld. Aber durch neue Geschäftsmodelle, wie Mieterstrom oder Ladestrom für die E-Mobilität, lassen sich neue Refinanzierungsquellen erschließen und mit Maßnahmen zur CO₂-Vermeidung sogar Geld verdienen – die Ergebnisse des oben beleuchteten Praxisbeispiels haben das gezeigt. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit sind keine Gegensatzpaare mehr. Wir müssen umdenken. Dann ist weitaus mehr möglich, als viele in der Immobilienbranche für realistisch halten.